Meine Lust am Lernen habe ich in der Schule definitiv verloren und das möchte ich für meine neunjährige Tochter Alana auf keinen Fall. Schon im Kindergarten und davor beim Schuleignungstest wird von einem Fremden geprüft, wie gut die Kinder eine Arbeitsanweisung ausführen können. Diese kann im besten Fall nur ein Abbild der momentanen Form oder der Tagesform aufzeigen, zumindest spielt diese eine große Rolle.
Wo bleiben da die Freude und Lust, etwas Eigenes zu erschaffen? Das sich Ausprobieren, der kreative Prozess des Lernens und Erforschens meiner Umwelt und was ich gut oder auch weniger gut kann?
Durch die Art unseres Schulsystems bleibt für die freie Entfaltung nur ein beschränkter Raum übrig, wobei einige Lehrkräfte ihr Möglichstes geben, insofern sie ihre eigene Freude am Lehren nicht schon verloren haben. Sei es durch Unterdrücken ihrer eigenen Bedürfnisse und Ideen, um gegenüber Eltern, anderen Lehrkräften oder der Schulleitung abliefern zu können. Alles standardisiert nach Lehrplan, Anforderungen und Bewertungen. Wie soll es da möglich sein, jedem einzelnen Schüler gerecht zu werden? Leo mag Lesen, Steffi liebt Zahlen, Yannik baut am liebsten Häuser aus Stöcken und Steinen, Paul braucht viel Bewegung, Lea lernt gerne etwas über Tiere.
Trotz dieser Gedanken, viele habe ich dank Corona und dem Homeschooling in den letzten beiden Jahren vertieft und mir wieder bewusst gemacht, haben wir Alana an der Grundschule vor Ort „ganz normal“ eingeschult, wie man es halt so macht. Ich bin froh und dankbar, dass meine Tochter bis dato meist Freude an der Schule hatte und wir wirklich Glück mit dem Bemühen und Engagement der Lehrer hatten.
Werbeanzeige Doch dann kam sie 2020 nach einer sehr entspannten und harmonischen Homeschooling-Phase von der Schule und fragte mich mit großen Augen, warum sie sich in der Schule testen solle, wenn sie doch gesund sei und sagte dann Ende der Woche zu mir: „Ab Montag müssen wir eine Maske tragen. Mama, dann will ich nicht mehr in die Schule gehen.“
Da ich als Tagesmutter zu Hause arbeite war es kein Problem, dass Alana zu Hause lernen konnte. Sie hat sich selbst ihre Aufgaben des Wochenplans eingeteilt, manchmal ihre Aufgaben auch erst am Nachmittag erledigt.
Ich durfte während der Zeit des Zuhause-Lernens vieles über meine eigenen Programme erkennen und prüfen. So bestand ich am Anfang darauf, dass sie sich gleich nach dem Frühstück an ihre Aufgaben setzte, was wiederholt in Diskussionen und Streit endete. Genervt gab ich klein bei und überließ ihr, wann und wie sie ihre Lernblöcke gestaltet. Ich gab ihr mein Vertrauen für ihr Gestalten des Lernens zurück und erinnerte sie daran, dass sie alle Aufgaben bis zur Abgabe erledigt haben sollte, da sie sonst der Lehrerin erklären muss, warum sie nicht alles gemacht hat.
Durch Plattformen und Gruppen zum Thema Lernen, wie zum Beispiel www.wissenschafftfreiheit.com und Beiträge von Gerald Hüther fanden wir das Freilernen als die stimmigste Lösung für uns. Leider hatten wir dank der Wochenpläne, die Alana auch mal langweilten, nur wenig Zeit übrig, in der sie ihre gewählten Themen erforschen konnte. Die Möglichkeit des Lernens und Entfaltens hätte größer sein können.
Ich habe das Gefühl, dass sie in dieser Zeit noch mehr über sich und Dinge wie Eigenverantwortung, Planen und Folgen des eigenen Handelns lernte. Sie war ausgeglichener und stolz auf sich selbst.
Von Anfang an traf sie sich mindestens zwei Mal pro Woche mit ihrer Freundin zum Lernen. Schnell erkannten die Mädchen, dass sie viel mehr Zeit zum Spielen haben, wenn sie ihre Aufgaben zügig abarbeiten. Die beiden gehen nicht zur selben Schule, aber in dieselbe Klassenstufe und haben sich gegenseitig geholfen, wenn eine nicht mehr weiterkam, und so den Stoff selbstständig erschlossen und vertieft und ganz nebenbei ihre sozialen und emotionalen Fähigkeiten erweitert. Die beiden machten das wirklich super und meistens mit Freude. Sie haben sich eigene Projekte wie Kochen, Backen, Basteln oder Experimente und Versuche ausgewählt und so freies Lernen kennengelernt.
Die Kinder sollen ihren eigenen Bedürfnissen und Interessen folgen dürfen und so selbstbestimmt an ihren Aufgaben wachsen.
Als ersten Schritt ins gemeinsame Lernen fanden wir glücklicherweise eine Lerngruppe, die sich ein paar Tage in der Woche bei uns traf. Wir gestalteten einen Lernraum und einmal pro Woche kam eine tolle Lehrerin, die den Kindern mit ganz viel Herz und Freude bei ihren Aufgaben half und Dinge wie das Einmaleins und vieles mehr vermittelte. Teils gemeinsam, teils jeder für sich, erledigten die Kinder so ihre Schulaufgaben und die anstehenden Fragen.
Leider blieb auch bei dieser Variante wenig Raum für wirklich selbstbestimmtes Lernen, da die Kinder nach Abarbeiten ihrer von den Schulen auferlegten Aufgaben, die Zeit zum Spielen und Ausflüge in die Natur wollten und brauchten.
Langsam spielte sich das Ganze immer mehr ein und die Kinder überlegten sich eigene Projekte und Themen.
Den Kindern gefielen auch die gemeinsamen Essen, Gespräche und Ausflüge nach draußen, die nicht nur schön und lehrreich waren. Ich meldete Alana bei der Forschungsgruppe „Gaudium in Vita“ an, einer Langzeitstudie zur Wirksamkeit selbstbestimmten Lernens.
Leider konnten wir damit aber nie richtig beginnen, da die sogenannten Politiker vehement gegen freies Lernen agierten sowie viele Schulleitungen einfach den Befehlen von oben folgten und diese umsetzten.
Nachdem wir immer mehr Druck von der Schulleitung und den Behörden bekamen und dann auch Alana sagte, sie möchte lieber wieder zur Schule gehen, stimmten wir schließlich vorläufig dem Schulbesuch zu. Ich bin unendlich dankbar, dass sie in der Klasse herzlich willkommen geheißen wurde und sie sowie viele Mitschüler und Lehrer sich über das Wiedersehen freuten.
Da meine Tochter eine sehr liebe und herzliche Klassenlehrerin hat und diese in der Schule mit den Kindern tolle Projekte machte, wie einen Apfelbaum pflanzen, einen Waldlehrgang mit dem Förster und noch vieles mehr, geht es uns mit dem Schulbesuch soweit gut. Wobei sie das Gestalten ihres individuellen Lernens und die freie Zeit- und Stoffeinteilung auch vermisst.
Egal ob mit oder ohne Corona-Maßnahmen, wünsche ich mir von Herzen, dass Eltern und Lehrkräfte gemeinsam für das Wohl und die Bedürfnisse ihrer Kinder einstehen und bald kein Kind mehr durch das Schulsystem seine ureigene Freude am Lernen verliert und für und mit den Kindern Lernorte geschaffen werden, in denen alle Beteiligten ihr volles Potenzial schöpfen und sich auf Augenhöhe begegnen können.
Wir stehen nun vor dem nächsten Übergang unseres Schulsystems: die Wahl der weiterführenden Schule nach Klasse 4. Wohin der Weg Alana führt, wissen wir noch nicht. Doch ich bin mir sicher, dass es für Alana der passende sein wird. Am liebsten möchte sie mit ihren Freundinnen auf ein Gymnasium am Ort. Und ich habe ehrlich gesagt ein wenig Angst, dass sich ihre große Lust am Lernen mindert und Alana ihre Bedürfnisse unterdrückt. Vielleicht dürfen wir aber auch alle gemeinsam die Kinder und Lehrkräfte unterstützen, damit sie mehr und mehr zum Gestalter ihrer Lern- und Lehrprozesse werden dürfen.
Dazu hat Gerald Hüther mit anderen das Aktionsbündnis www.lernlust.jetzt geschaffen, über welches sich Eltern örtlich vernetzen können, um so gemeinsam mit den Schulen Lösungen zu finden, die wiederum durch Aktionen dazu beitragen, dass jedes Kind wieder Spaß am Entdecken und Forschen findet.
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