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Die Pandemie der zerbrochenen Herzen

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Wenn Worte nicht genug sind

Es gibt Worte, die treffen mitten ins Herz. Und dann gibt es Worte, die sollten das tun – schaffen es aber nicht. Heute Morgen beim Frühstück fiel so ein Satz. Meine Frau erzählte von ihrer Schwester Angelina. Sie hatte ihr im Vertrauen gesagt, dass sie mittlerweile verstehe, warum wir uns in der Corona-Zeit so verhalten haben. Vielleicht, meinte sie, sei es doch nicht unser „Fehler“ gewesen, dass wir damals morgens um sechs Besuch von der Polizei bekamen. Das war wohl ihre Art, sich zu entschuldigen – dafür, dass in einer Zeit, in der wir Rückhalt gebraucht hätten, von ihr kaum mehr kam als ein Schulterzucken und ein „selber schuld“.

Zwei wie Pech und Schwefel

Angelina kam wie meine Frau mit knapp zwanzig Jahren nach Spanien, aus dem ärmsten Land Südamerikas. Die beiden Schwestern hatten schon immer ein enges, fast unerschütterliches Band – nicht nur, weil Angelina die Älteste von vier Geschwistern war, sondern auch, weil sie von klein auf der verlängerte Arm der Eltern war. Nicht im negativen Sinn sondern fürsorglich und beschützend. Sie war diejenige, die meiner Frau half, ihren Weg zu gehen, die ihr zur Seite stand, wenn es schwierig wurde. Angelina ist mit Paco verheiratet, einem Beamten der Policía Nacional. Zusammen haben sie Roman, einen elfjährigen Jungen, der so höflich, klug und aufmerksam ist, dass man nach wenigen Momenten merkt: Hier steckt eine gute Erziehung und ein warmes Herz dahinter.

Ich mochte Angelina von Anfang an. Sie war immer reflektiert, zurückhaltend, und wie die ganze Familie meiner Frau – freundlich und wohl erzogen. Umso mehr hat es damals wehgetan, dass sie anstatt uns Halt zu geben uns mit Vorwürfen übersäte.

Die unsichtbare Mauer

Ihr Sinneswandel hat wohl damit zu tun, dass sie und Paco heute VOX wählen – Spaniens Pendant zur AfD. Wie in Deutschland gilt auch hier: Wer öffentlich zu so einer Partei steht, bekommt die volle Breitseite von Medien und Gesellschaft ab. Und wie in Deutschland passieren wichtigen Menschen im Umfeld solcher Parteien „merkwürdige“ Dinge. Als Polizist ist es schwer derlei Vorkommnisse nicht mitzubekommen – es ist bedeutend einfacher sie zu ignorieren oder zu verleugnen und sie rücken erst dann in den Vordergrund, wenn man unmittelbar damit konfrontiert wird. Vielleicht haben sie deshalb heute mehr Verständnis für das, was uns damals passiert ist.

Und doch… als meine Frau mir davon erzählte, spürte ich nichts.Kein Aufatmen, keine Genugtuung. Nur einen kurzen Gedanke: Das hätten wir vor vier Jahren gebraucht. Und damit war das Thema für mich abgehakt.

Was bleibt

Wir sehen Angelina und Paco nach wie vor regelmäßig. Mal kommen sie für ein Paar Tage zu uns ans Meer, mal besuchen wir sie in unserer alten Heimat, Madrid. Wir lachen, wir sind freundlich. Aber zwischen uns steht eine unsichtbare Mauer, die man nicht wegreden kann. Bei den Kindern nicht – Gott sei Dank – aber bei uns Erwachsenen ist sie da, immer.

Ich frage mich manchmal, ob sich das irgendwann ändert. Und ich merke: Es geht nicht nur um Angelina und Paco. Es ist das Gleiche mit alten Freunden, mit anderen Verwandten, mit meinem Geburtsland. Deutschland ist für mich… fern. Und obwohl es fast 3.000 km entfernt liegt ist es gedanklich noch viel weiter entfernt. Ich konsumiere schon lange keine Nachrichten mehr – wenn ich oberflächliche Unterhaltung möchte schaue ich meine Lieblingsserie. Aber was ich am Rande mitbekomme, lässt mich absolut kalt.

Gleichgültigkeit?

Ist das erzwungene Gleichgültigkeit? Oder eine Schutzreaktion? Habe ich unterbewusst das Kapitel abgeschlossen?

Ein alter Weggefährte aus Reutlinger Zeiten sagte einmal: Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass. Es ist Gleichgültigkeit.

Wie so oft triffst du den Nagel auf den Kopf, mein Freund.

Liebe spürt man. Hass spürt man auch. Gleichgültigkeit fühlt sich nach nichts an – und genau das macht sie so entlarvend.

Dornenwege

Was heißt das für meine Beziehung zu Angelina und Paco? Völlig gleichgültig sind sie mir nicht. Ihre Meinung in bestimmten Dingen – ja, die ist mir egal. Ihr Platz in meinem Herzen? Kleiner als früher, eindeutig. Ob mein Herz insgesamt kleiner geworden ist oder nur ihr Platz darin – das kann ich nicht sicher sagen.

Vielleicht ist es wie ein Weg, den man früher oft gegangen ist. Irgendwann ist er zugewachsen, und heute müsste man sich erst einmal durch Dornen schlagen, um ihn wieder zu betreten.

Und vielleicht – das ist der Gedanke, den ich am liebsten verdrängen würde – will ich das gar nicht mehr so wie früher. Nicht aus Bitterkeit. Sondern, weil manche Wunden heilen, andere vernarben.

 
 
 

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