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Die Kastanie (Perspektivwechsel)

Die Kastanie (Perspektivwechsel) Hallo, ich bin eine Kastanie und stehe schon seit über 400 Jahren im Schlosspark in Karlsruhe. Aufgrund meiner exponierten Lage war ich auf der einen Seite immer mitten im Leben der Menschen dabei und auf der anderen Seite vor dem Begehren der Menschen nach Holz geschützt, da ich als Zierde und Schattenspender im Schlosspark gern gesehen war. Im Laufe der Jahre habe ich auf diese Weise viele Ereignisse sehen, spüren und miterleben können. Ab 1816 änderte sich vieles aufgrund eines großen Ereignisses in Indonesien. Dort fand ein Vulkanausbruch statt, durch dessen Aschewolke große Teile Europas über viele Monate verdunkelt wurden. Ich und alle anderen Pflanzen bekamen dadurch nicht genug Licht und konnten deshalb kaum wachsen. Die Menschen, die hier lebten, hatten dadurch nicht genug zu essen und mussten hungern.

Danach ging es mit der industriellen Revolution weiter. Die Schornsteine qualmten um die Wette. Durch die Erfindung der Dampfmaschine fingen die Menschen an, ihre bisherige Handarbeit zunehmend auf Maschinen zu verlagern. Je nachdem, wie der Wind stand, wurde ich immer mal wie der mit Ruß bedeckt, aber ansonsten ging es mir eigentlich ganz gut. Meine Hauptnahrung erhielt ich immer aus der Luft und aus dem Boden. Aus der Luft bezog ich CO2, das ich mithilfe von Chlorophyll in Kohlenstoff für mein Wachstum und Sauerstoff umwandelte, den ich als Abfallprodukt in meine Umwelt entließ. Aus dem Boden bekam ich Wasser und Spurenelemente, die für mein Wachstum und meine Gesunderhaltung ebenfalls sehr wichtig waren. Die Wetterlage war in den letzten 400 Jahren immer wieder ziemlich unterschiedlich. Es gab kühle Sommer und warme Winter oder auch heiße Sommer und kalte Winter. Da ich nur ca. 500 km vom Atlantik entfernt stehe, hat dieser riesige Ozean immer einen starken Einfluss auf das Wetter bei mir. Ich lebe sehr gut damit und habe mich dem angepasst.

Zwischendurch kamen die Menschen auf die verrückte Idee, sich selber und ihre Häuser mit verschiedenen Apparaten zu zerstören. Je älter ich wurde, desto größer wurden diese Geräte und umso mehr wurde zerstört. Zuletzt konnten die Apparate sogar fliegen und warfen sogenannte Bomben vom Himmel. Ich bin froh, dass ich davon nicht einmal getroffen wurde. Die Menschen um mich herum litten furchtbar darunter. Irgendwie müssen sie verrückt sein, wenn sie so etwas machen. Das tut sonst kein anderes Lebewesen. Nach der Zeit dieser Bomben aus der Luft ist es wieder friedlich geworden. Die Häuser wurden neu aufgebaut und im Laufe der Zeit kamen viele neue Straßen hinzu. Diese Straßen füllten sich mit Autos und Fahrrädern und alles wuselte hektisch um mich herum. Die Menschen hatten gar keine Zeit und Ruhe mehr, um sich einfach an mir zu erfreuen, sich unter meinen Schatten zu setzen und meine Schönheit zu genießen. Alle wollten immer nur noch schneller, höher und weiter kommen.

Vor ca. 50 Jahren passierte dann etwas Seltsames. An mehreren Sonntagen hintereinander fuhr plötzlich auf den Straßen kein Auto mehr. Die Menschen sagten, es bestehe eine Ölkrise. Das Wasser, das die Autos zum Leben benötigen, war nicht mehr ausreichend vorhanden – sagte man. Überhaupt kam in dieser Zeit auch das Gerücht auf, dass meine Nahrung, das CO2, plötzlich für uns schädlich sein soll. Und da die Autos beim Verbrennen ihres Wassers CO2 produzieren, sollen sie eine der Hauptursachen für diesen Schaden sein. Ich weiß ja, wie klein der Anteil des CO2 in der Luft ist, deshalb bin ich eigentlich froh um jedes CO2-Molekül, das ich zum Atmen bekomme. In meinem langen Leben war es mal mehr oder weniger, aber immer genug zum Leben. Das CO2 ist ja schon immer in der Luft gewesen. Die anderen Bäume haben mir überliefert, dass es sogar Zeiten gab, in denen der Anteil des CO2 über 10 mal so hoch war wie heute, aber es gab deshalb keine Katastrophe. Auf Plakaten schrieben die Menschen, dass sie weniger CO2 produzieren sollen, um das Klima zu retten.

Diese kleinen Menschen, die nicht einmal in der Lage sind, friedlich miteinander um zugehen, zu koexistieren, wollen das Klima retten? Ich glaube, dass sie noch viel zu lernen haben. Vor ca. 3 Jahren haben sie dann etwas besonders Seltsames gemacht: sie trugen plötzlich im Freien Tücher oder eine Art Kaffeefilter vor dem Gesicht. Wollten sie damit das Klima retten? Zuzutrauen wäre es ihnen. Auf jeden Fall hängt der ganze Müll dieser Filter jetzt auch bei mir in den Zweigen und verschmutzt den ganzen Park. Das war keine gute Idee. Ein paar versuchen es aber leider immer noch. Das Neueste ist jetzt, dass sich einige verrückte Menschen in Sichtweite von mir auf der Straße festkleben, um gegen den Klimawandel zu protestieren. Sie lassen sich dann von vielen anderen Menschen fotografieren sowie filmen und verschwinden nach 10 Minuten wieder. So was kenne ich noch aus der Zeit, als man hier Freilichttheater gespielt hat. Nur waren da die Menschen viel freundlicher und haben auch gelacht.

Ich kenne das Klima und weiß, dass es sich über die Einfalt und den Größenwahn dieser Menschen kaputtlachen würde. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich die Menschen immer verrückter benehmen, je mehr Maschinen und Apparate sie haben. Sie sollten sich einfach nur wieder einmal in meinen Schatten setzen, in aller Ruhe den Himmel betrachten und dem Rauschen des Windes lauschen – so wie es die Menschen früher getan haben, um Freude in ihr Herz zu bekommen.

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