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Das Windrad

Hallo, ich bin ein Windrad

Ich stehe auf einem Hügel nahe Eglingen in der Gemeinde Hohenstein, Landkreis Reutlingen. Vor Jahren, als ich hierherkam, war alles anders. Die Landschaft war wild und voller Leben. Dichte Wälder umgaben diese Hügel, ihre Kronen boten Schutz für Rehe, Füchse und Eulen, die sich nachts lautlos durch die Äste bewegten. Im Frühling war das Zwitschern der Singvögel so lebendig, dass die Luft förmlich vibrierte. Doch jetzt stehe ich hier, hoch und einsam, und die Welt um mich herum hat sich verändert.


Ein edler Plan

Als ich gebaut wurde, war der Plan groß und edel. Ich sollte die Menschheit retten, den Wind bändigen und ihn in saubere Energie verwandeln. Eine heldenhafte Aufgabe, dachte ich. Doch nun, da ich hier stehe, sehe ich auch die Schattenseiten meiner Existenz. Der Wald, der einst so lebendig war, wurde gerodet, um Platz für mich und meine Geschwister zu schaffen. Wo früher Vögel in dich-ten Bäumen nisteten, stehen nun Betonfundamente und Schotterwege.


Meine Rotoren sind eine Todesfalle

Ich sehe die Rotmilane, die über die Felder gleiten – majestätische Jäger, deren Leben sich durch den Verlust ihrer Lebensräume verändert hat. Manchmal stoßen sie mit mir zusammen, ihre Flügel berühren meine Rotoren, und ich spüre das leise, fast unhörbare Ende ihres Fluges. Auch Fledermäuse, die die Nacht durchqueren, werden von meinen unsichtbaren Turbulenzen erfasst. Sie sind so zart und verletzlich, dass sie den Druckunterschied nicht überleben können. Das Wissen, dass ich Teil dieser Verluste bin, liegt schwer auf meinen Rotoren.


1.500 von uns ersetzen nicht ein Kernkraftwerk

Doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Wenn der Wind über die Hügel bläst und ich mich drehe, spüre ich die Kraft der Natur. Ich weiß, dass ich Energie liefere – Energie, die Städte erhellt und Maschinen antreibt. Aber ich frage mich oft, ob die Menschen die ganze Wahrheit über mich kennen. Um ein einziges modernes Kernkraftwerk zu ersetzen, bräuchten sie 1.500 von uns, jede von uns 3 Megawatt stark. Wir würden eine Fläche von über 300 Quadratkilometern einnehmen – eine Fläche, die weit über meine Sichtweite hinausgeht. Dennoch könnten wir die konstante Energieversorgung eines Kernkraftwerks nicht vollständig gewährleisten, da der Wind nicht stetig weht.


Wenn der Wind nicht weht

Und was passiert, wenn der Wind ausbleibt? Dann müssen die Lücken gefüllt werden – mit Kohlekraftwerken, die schwarze Rauchwolken in den Himmel schicken, oder Gaskraftwerken, die auf fossile Brennstoffe angewiesen sind. Es fühlt sich an, als würde mein Versagen, den Wind zu bändigen, die Tür zu noch größerem Schaden öffnen.


Schwankungen eines Kinderbuchautors

Seit die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet wurden, habe ich das Ge-fühl, dass das Stromnetz nicht mehr so stabil ist wie früher. Es gibt mehr Schwankungen, mehr Unruhe in den Leitungen. Aber wer bin ich schon, das zu beurteilen? Mein Horizont reicht gerade einmal bis zur nächsten Hügelkette. Aber möglicherweise ist das ja weiter als der Horizont eines Menschen, der vor nicht allzu langer Zeit noch Bücher für kleine Kinder geschrieben hat.


Meine Rotorblätter verrotten oft auf Feldern

Wenn ich eines Tages ausgedient habe, was nach etwa 20 Jahren der Fall ist, entsteht ein weiteres Problem. Dann werde ich abgebaut, meine Rotoren zerlegt, mein Stahl recycelt – zumindest größtenteils. Aber meine Blätter, diese riesigen Schwingen aus glasfaserverstärktem Kunststoff, werden ein Problem bleiben. Sie lassen sich kaum recyceln und landen oft auf Feldern, wo sie jahrelang verrotten. Ich habe gehört, dass einige von ihnen verbrannt werden, um Zement herzustellen, doch das ist nicht die Lösung, die ich mir erhofft hatte.


Mein Gas ist 23.000-mal klimaschätlicher als CO2

Dann ist da noch dieses Gas, Schwefel-Hexafluorid, das in meinen Schaltanlagen steckt. Es verhindert Kurzschlüsse, aber es ist auch ein unsichtbarer Feind der Natur – 23.000-mal klimaschädlicher als CO2. Wenn ich abgebaut werde, besteht die Gefahr, dass es in die Luft entweicht. Ich kann nur hoffen, dass die Menschen wissen, was sie tun, wenn sie mich zerlegen.


Was ist der Sinn meiner Existenz?

Manchmal, wenn der Wind nach-lässt und ich stillstehe, denke ich über meinen Platz in dieser Welt nach. War meine Erbauung wirklich ein Fortschritt, oder bin ich nur ein Segel ohne Sinn, das die Natur zerstört hat, um ein Versprechen zu erfüllen, das es nie einhalten konnte? Vielleicht wäre es besser, diesen Hügel wieder zu renaturieren, die Wiesen zurückzubringen und die Wälder aufzuforsten, die einst so viel Leben und Schönheit in sich trugen. Ich stelle mir vor, wie Rehe zurückkehren, wie Vögel wieder nisten und die Natur den Raum zurückerobert.


Ich verstehe diese Deutschen nicht?

Ich frage mich auch, ob Deutschland mit seiner Ablehnung moderner Kernkraftwerke den Wind in die falsche Richtung lenkt, während andere Länder, wie Schweden, auf neue, sichere Technologien setzen. Schweden plant den Bau von vier bis fünf neuen Kernkraftwerken, um seine Energieversorgung zu sichern. Sie setzen auf Innovation und Balance, während ich hier stehe und nur hoffen kann, dass mein Dasein mehr Nutzen als Schaden bringt.


Die Logik der Deutschen bleibt für mich ein Rätsel

Ich wundere mich auch, dass so viele Menschen hier bereit sind, immer mehr Geld für grünen Strom zu bezahlen, obwohl der Strom in Wirklichkeit immer schmutziger wird. Aber was weiß ich schon über menschliche Angelegenheiten und Geld? Mein Dasein ist einfach: Ich drehe mich, wenn der Wind weht, und stehe still, wenn er nicht weht. Die Logik der Menschen bleibt für mich ein Rätsel.


Die Hoffnung stirbt zuletzt

Ich hoffe, dass die Menschen eines Tages dazu lernen und den Fortschritt nicht nur als technische Innovation verstehen, sondern auch als Rückkehr zu einem Leben im Einklang mit der Natur. Bis dahin stehe ich hier, drehe mich mit dem Wind und trage die Hoffnungen und Widersprüche einer ganzen Zivilisation in meinen Rotoren.

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